“kum, tôt, ez ist niht ze vruo;
wan swenne ich gedenk dar an,
swaz ich vröuden ie gewan
die leschent sich begarwe
und wandelt sich mîn varwe
und erkücket mich ein muot
der mir harte unsanfte tuot
gâhes als ein donerslac,
daz ich niht rehte wizzen mac
waz oder wie mir ist geschehen
oder wes ich wider den sol jehen
der mir danne so nâhen ist bî
daz er mich vrâget waz mir sî;
dem ensage ich ouch niht mê
wan «geselle, mir ist im herzen wê.»”

“Dem gelîchet sich daz leben mîn.
swenne ich mit vröuden waene sîn
so rüerent mich die sorgen
die ich da trage verborgen,
ich siufte ûf von grunde
mit lachendem munde,
und truobent mir die ougen.
der rede ist unlougen,
wan deiz unmanlich waere,
weinen ich niht verbaere.”

“Lîp, dar an gedenke wol
und gebâre als ein man sol,
tuo niht mêre als ein zage
lâz dîn üppeclîche klage
sich ûf unde bis vrô
und gebâre rehte alsô.
got ist alsô guot als er was ie.
ja verliez got den sînen nie.”

Hartmann von Aue ist einer der bedeutendsten Dichter der klassischen mittelhochdeutschen Literatur. Er führte die Artusepik in Deutschland ein und galt für nachkommende Generationen als Lehrmeister und Vorbild. Die Klage, sein Erstlingswerk, ist ein didaktisches Traktat über die Liebe: die Doktrin wird hier in Form eines Disputes zwischen Leib und Herz eines von der Gewalt der Minne bezwungenen Jünglings veranschaulicht. Im Streitgespräch verkörpert das Herz die innere Sphäre des Menschen; in ihr ist das Vermögen situiert, zu beurteilen, zu fühlen und zu wollen. Der Leib hingegen repräsentiert die äußerliche und instinktgesteuerte Komponente. Durch die Unterweisung des Herzens soll der Leib sich vervollkommnen, zur Achtung seiner Mitmenschen und zur Sublimierung seiner Leidenschaften gelangen. Beim Minnedienst für die Frau darf er dessen dreifache Zielsetzung nicht außer Acht lassen: Heil der Seele, Anerkennung der Gesellschaft und, nur zuletzt, Lohn der Dame. Ihre Gunst darf nicht als zwingende Konsequenz der Werbung erfasst werden. Die Liebe ist also keine rein individuelle Angelegenheit, sondern gewinnt hier eine gesellschaftliche Bedeutung. Auf diese Weise verbildlicht die Klage anhand der Erfahrung eines Einzelnen die Disziplinierung des Hofmannes: mit seinem Verstand soll er die Zwänge der natürlichen Impulse überwinden und zur idealisierenden Auffassung der höfischen Minne gelangen. In diesem innovativen Werk konnte Hartmann die verschiedenen Gattungen des Streits zwischen Seele und Leib und der complainte romanischen Ursprungs miteinander verschmelzen; er ließ Überlegungen über das Wesen der Liebe, didaktische Sentenzen nebst lyrischen Tönen, Anregungen aus dem juristischen  Diskurs sowie eschatologische Perspektive einfließen und schaffte somit die erste uns bekannte  selbständige Dichtung deutscher Sprache, die sich der theoretischen Reflexion über die minne  widmet.